Vortragsveranstaltungen 2010

19. NovemberProf. Dr. Michel Fichant (Paris)
  • Glaube und Vernunft: Zur Aktualität der Argumente von Leibniz anläßlich des 300-jährigen Erscheinens der „Theodizee“
11. JuniProf. Dr. Wenchao Li (Potsdam)
  • Theodizee und Praxis
4. JuniProf. Dr. Hans Poser (Berlin)
  • Von der Theodizee zur Technodizee. Ein altes Problem in neuer Gestalt
20. MaiProf. Dr. Irene Dingel (Mainz)
  • Leibniz als Gegengift. Die Rezeption von Pierre Bayles „Dictionnaire historique et critique“ im deutschsprachigen Raum
6. MaiProf. Dr. Michael-Thomas Liske (Passau)
  • Nach Verwirklichung strebende Aktivkräfte versus schlummernde Potenzen: Kann Leibniz’ Vermögensbegriff die Konzeption eines Potentials erhellen?
15. April PD Dr. Christian Schulze (Bochum)
  • Leibniz’ Vorschläge zur Verbesserung des Gesundheitswesens ‒ Medizingeschichte als Hintergrundszenario
9. April Prof. Dr. Oskar Negt (Hannover)
  • Der Mensch als Prothesengott
18. FebruarProf. Rolf Wernstedt (Hannover)
  • Glanz und Elend der Politik in der Finanzkrise

Freitag, den 19. November 2010
Prof. Dr. Michel Fichant (Paris)

  • Glaube und Vernunft: Zur Aktualität der Argumente von Leibniz anläßlich des 300-jährigen Erscheinens der „Theodizee“


Zum Vortrag:
In seiner Ansprache am 12. September 2006 in der Universität Regensburg erörterte Papst Benedikt XVI. eine starke These: „Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider“, in der Entwicklung seiner Argumentation wandte er sich aus philosophischer Perspektive gegen alle „Positionen ..., die ... auf das Bild eines Willkür-Gottes zulaufen könnten, der auch nicht an die Wahrheit und an das Gute gebunden ist“.

Dies könnte man als Echo der Kritik bezeichnen, die Leibniz gegen jegliche voluntaristische Doktrin von der willkürlichen Allmacht eines Gottes formuliert, dem sich die Vernunft entzieht.

Im Jahr 2010 befassen wir uns daher abermals mit Leibniz’ Einleitender Abhandlung über die Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, die sich am Anfang der 300 Jahre alten Theodizee befindet ‒ sie ist noch heute aktuell.

Der Vortrag behandelt im Kern, was Leibniz unter Übereinstimmung zwischen Glaube und Vernunft versteht und betont die Bedeutung einer Diskussionsmethode, die auf der exakten Unterscheidung von vier Operationen beruht: Erklären ‒ Begreifen ‒ Beweisen ‒ Behaupten. Es wird gezeigt, wie für Leibniz jeder Glaube, auch der Glaube, der aus der Offenbarung stammt, seine Rechtfertigung nur durch Vernunft erhalten kann, die als einzig denkbares Schiedsgericht einen gemeinsam und friedlich gestalteten Diskurs erst ermöglicht.

M. F.

Freitag, den 11. Juni 2010
Prof. Dr. Wenchao Li (Potsdam)

  • Theodizee und Praxis
    (Vortragsveranstaltung zum 300-jährigen Erscheinen der Theodizee)


Zum Vortrag:
Ausgehend vom europäischen zeitgenössischen Kontext des Theodizee-Problems stellt der Vortrag die Signifikanz der Leibnizschen Lösungsansätze vor. Der dabei vollzogenen Entlastung Gottes, so obsolet und fragwürdig manche Prämissen auch sein mochten, steht eine Herausforderung an die menschliche Freiheit gegenüber, selbst Verantwortung und Konsequenz für das Handeln übernehmen zu müssen; in der Tat ist (im europäischen Kontext) der Mensch auch just seitdem an die Stelle Gottes als Souverän der allgemeinen und seiner eigenen Geschichte getreten und verfügt über eine so nie dagewesene Macht über sich selbst wie über seine Umwelt einschließlich Natur und Mitmenschen. Die Theodizee von Leibniz legt die Schöpfung in die Hände des Geschöpfs und verpflichtet zum verantwortungsvollen und verantwortungsbewussten Handeln. Hierin begründet liegen die Aktualität und der Universalanspruch des Leibnizschen Versuchs von der Güte Gottes, Freiheit des Menschen und vom Ursprung des Bösen vor 300 Jahren.

W. L.

Freitag, den 4. Juni 2010
Prof. Dr. Hans Poser (Berlin)

  • Von der Theodizee zur Technodizee. Ein altes Problem in neuer Gestalt
    (Vortragsveranstaltung zum 300-jährigen Erscheinen der Theodizee)


Zum Vortrag:
In einer Ökologie-Diskussion wurde jüngst ein Beispiel herangezogen, das ganz dem Theodizee-Problem entspricht: Tiger sind dem Menschen gefährlich; warum sollen wir sie dann schützen und nicht ausrotten? Weil die Vielfalt der Natur ein Wert ist, lautet meist die Antwort, und sie provoziert die Frage, warum Vielfalt etwas Wertvolles sei. Im 17. Jahrhundert hätte die Frage gelautet: Warum hat ein allmächtiger und gütiger Gott die so gefährlichen Tiere geschaffen? Leibniz verallgemeinert dies zum Theodizee-Problem als Frage nach dem Übel in der Welt und gibt eine höchst komplexe Antwort: Das Übel, so der Kerngedanke, ist um einer Maximierung der Harmonie der Vielfalt in der Ordnung willen in der besten der möglichen Welten unvermeidlich und darum zuzulassen – letztlich, um menschliche Freiheit und Verantwortung zu ermöglichen. – Der Mensch als Mängelwesen mit Vernunft bedarf zum Leben und Überleben der Technik; das Auto als Fortbewegungsmittel erweist sich dabei als viel gefährlicher als alle Tiger: Damit ergibt sich als eine verwandelte Form der Theodizee das Technodizee-Problem, in dem nicht Gott, sondern der Mensch für seine Schöpfungen angeklagt wird. Haben wir dafür eine Lösung?

H. P.

Donnerstag, den 20. Mai 2010
Prof. Dr. Irene Dingel (Mainz)

  • Leibniz als Gegengift. Die Rezeption von Pierre Bayles „Dictionnaire historique et critique“ im deutschsprachigen Raum


Zum Vortrag:
Als Johann Christoph Gottsched im Jahre 1741 den ersten Band der deutschen Übersetzung von Pierre Bayles Dictionnaire Historique et Critique herausbrachte, konnte er in seinem Vorwort nicht genug lobende Worte für die umfassende Bildung und das Werk des schon 1706 verstorbenen französischen Frühaufklärers finden. Aber er verhehlte auch nicht, dass das Wörterbuch religionskritische Reflexionen enthielt, vor deren Gift man das Publikum warnen müsse. Bayles kritische Anfragen wurden entschärft, indem Gottsched nicht nur eigene kommentierende Anmerkungen in die Übersetzung einflocht, sondern vor allem Leibniz heranzog, dessen Schriften er als „Gegengift“ empfahl.

I. D.

Donnerstag, den 6. Mai 2010
Prof. Dr. Michael-Thomas Liske (Passau)

  • Nach Verwirklichung strebende Aktivkräfte versus schlummernde Potenzen: Kann Leibniz’ Vermögensbegriff die Konzeption eines Potentials erhellen?


Zum Vortrag:
Wodurch lässt sich das Zuschreiben eines Potentials rechtfertigen, in einer Entwicklung eine neue Bestimmung zu erwerben, durch das in der bioethischen Debatte etwa die Menschenwürde ungeborenen Lebens begründet wird? Leibniz’ Begriff der Kraft verspricht darauf eine bedenkenswerte Antwort, wenn er in seiner metaphysischen Anwendung die scholastische Konzeption eines bloßen Vermögens revidieren soll, das zwar so weit entwickelt ist, dass es sofort eine einschlägige Betätigung erlaubt, aber von außen durch eine geeignete Situation aktiviert werden muss. Die Kraft ist demgegenüber ein um ein Streben erweitertes Vermögen, das dank dieser ihm innewohnenden Tendenz von sich aus Neues beginnen kann. Setzt der Begriff eines Potentials voraus, dass der neue Zustand durch den gegenwärtigen bereits zwingend determiniert ist oder wird das Potential dadurch gerade trivialisiert, wenn die Entwicklung unverhinderbar ist? Zudem: Kann Leibniz bei der eigentlichen Substanz, dem Subjekt der ursprünglichen Kraft, überhaupt eine echte Entwicklung annehmen, wo sie doch in zeitloser Weise durch den vollständigen Begriff gegeben ist?

M.-T. L.

Donnerstag, den 15. April 2010
PD Dr. Christian Schulze (Bochum)

  • Leibniz’ Vorschläge zur Verbesserung des Gesundheitswesens ‒ Medizingeschichte als Hintergrundszenario


Zum Vortrag:
Leibniz, selbst kein ausgebildeter Arzt, hat sich auf vielfältige Weise mit der Medizin beschäftigt und glaubte, große Mängel im Gesundheitswesen seiner Zeit erkennen zu können. Der Vortrag möchte einige Vorschläge sichten, die Leibniz zur Behebung dieser Defizite vorgetragen hat. Ein zweiter Schritt fasst die Vorschläge zu vier Großgruppen zusammen; schließlich sei gefragt, aus welchem Movens heraus Leibniz seine Empfehlungen erarbeitet und propagiert hat. Gerade hier scheint es möglich, neues Licht auf die Hintergründe seiner medizinischen Beschäftigung zu werfen: Leibniz’ vielfältige Beschäftigung mit der Geschichte der Medizin könnte eine größere Rolle gespielt haben als bislang angenommen.

C. S.

Freitag, den 9. April 2010
Prof. Dr. Oskar Negt (Hannover)

  • Der Mensch als Prothesengott
    (Vortrag im Rahmen des 2. Festivals der Philosophie in Hannover)


Zum Vortrag:
Der moderne Mensch hat vielfältige Anstrengungen unternommen, die ihn umgebende Objektwelt immer reichhaltiger auszustatten, um sein Können und seine kreativen Kräfte zu dokumentieren. Man kann von fortwährenden Prozessen der Organverlängerungen, Organergänzungen, Organverstärkungen sprechen. Was im Wesentlichen unbearbeitet bleibt, ist das Subjekt, sein Empfindungsvermögen, seine Sinne und seine Urteilskraft. Die ganze Apparatewelt hängt deshalb am eher archaisch gebliebenen Subjekt wie ein Klempnerladen, der nicht richtig befestigt ist. Freud nennt dieses moderne Ungetüm Prothesengott.

O. N.

Donnerstag, den 18. Februar 2010
Prof. Rolf Wernstedt (Hannover)

  • Glanz und Elend der Politik in der Finanzkrise


Zum Vortrag:
Seit dem Herbst 2008 sind wir Zeuge der dramatischsten Finanzkrise seit 1929/30. In einer beispiellosen Rettungsaktion haben die betroffenen Staaten einen Zusammenbruch des Weltfinanzsystems, der unabsehbare Folgen für die Wirtschaft und die Staaten selbst gehabt hätte, verhindert.

Dies war eine Demonstration der Stärke der Politik gegenüber unkontrollierten Banken. Die Politik war gezwungen, mit Summen zu operieren, die ihr bis dahin unbekannt waren. Allerdings sind die Folgen bis heute nicht vollständig übersehbar.

Es schien, als ob die Lehre aus diesem Desaster, dass sich derartige Spekulationen nicht wiederholen dürfen und die Politik für die notwendigen Regulierungen sorgen müsse und wolle, international einhellig sei. Es ist jedoch bis heute nicht gelungen, international wirksame Regelungen zu formulieren und durchzusetzen. Damit werden die Legitimationsgrundlagen der Politik selbst in Frage gestellt. Eine solche Situation ist ökonomisch und politisch gefährlich.

Im Vortrag sollen die politischen Möglichkeiten und die Versäumnisse zur Beherrschung der Finanzkrise und ihrer politisch-ökonomischen Wirkungen diskutiert werden, sofern sie bis heute sichtbar sind.

R. W.

Der Referent hat uns den vollständigen Text des Vortrags zur Verfügung gestellt – Sie finden ihn hier im doc-Format (Copyright beim Autor).

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